Das war doch Notwehr!

Ein an sich friedliebend scheinender Hausbesitzer verblüfft bei einem Abendessen mit Freunden mit folgender Aussage, nachdem in dem Viertel kürzlich mehrfach Einbruchdiebstähle vorgekommen sind: „ Also ich habe extra den Jagdschein gemacht. Da soll mal einer kommen und bei uns einbrechen – ich habe meine Waffe in Reichweite und würden nicht zögern, auf den Einbrecher zu schiessen! Ich darf das ja auch: ist schliesslich Notwehr!“ Mal abgesehen von der eigenen Gefährdung bei solch einer Aktion und davon, dass die meisten Menschen es wohl bevorzugen würden, beim Einbruch in die eigene Wohnung oder das eigene Haus nicht anwesend zu sein: Würde das Verhalten wirklich unter Notwehr fallen und welche juristischen Folgen hätte es, wenn ich den Einbrecher dabei womöglich sogar tödlich treffe?

Auf Notwehr folgt keine Bestrafung, das hat fast jeder schon mal gehört. Aber nicht jede Gegenwehr ist gleich Notwehr. Und Notwehr rechtfertigt auch nicht immer alle Mittel. Wir haben mit unserem Fachanwalt für Strafrecht, Rechtsanwalt Michael Noll von der Düsseldorfer Kanzlei Schumacher & Partner gesprochen und ihm die wichtigsten Fragen zum Thema „Notwehr“ gestellt.

DF: Wie lautet eigentlich die Definition von Notwehr?

MN: Der Satz „Das war doch Notwehr“, fällt schnell einmal, wenn Beschuldigte sich für unschuldig halten. Der „Notwehrparagraph“ 32 des Strafgesetzbuches (StGB) sagt dazu: „Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.“ Im Ernstfall ist so eine Definition für Bedrängte natürlich erst mal wenig hilfreich. Was ist erforderlich? Was ist ein gegenwärtiger Angriff? Und wie soll man dann auch noch wissen, ob dieser rechtswidrig ist?
Fest steht: Es muss immer eine Notwehrlage und ein Notwehrwille erkennbar sein. Nehmen wir ein Beispiel: Sie gehen spazieren. Plötzlich attackiert Sie jemand grundlos mit Fäusten. Das wäre bereits ein notwehrfähiger Angriff, weil er von einem Menschen ausgeht und er Sie zumindest verletzen könnte. Ob der Angreifer das wollte oder fahrlässig handelte, ist nicht entscheidend. Zumindest ist Ihre rechtlich geschützte Gesundheit bedroht. Diese ist ein Rechtsgut, aber die Notwehr gilt natürlich auch für andere Rechtsgüter. Sie könnten etwa genauso gut bestohlen, beleidigt oder festgehalten werden – nur Angriffe auf vorwiegend im Allgemeininteresse geschützte Rechtsgüter, z.B. die Straßenverkehrssicherheit sind ausgenommen, denn das ist Sache des Staates.

DF: Zurück zu unserem Jäger – darf der denn nun den Einbrecher erschiessen, weil er seine Uhrensammlung klaut?

MN: Der Angriff muss unmittelbar bevorstehen, gerade stattfinden oder noch andauern. Selbstjustiz soll nur eng begrenzt erlaubt sein, solange eine unmittelbare Gefahr besteht. Sonst sind Justiz und Polizei zuständig. Das hieße hier: Sie dürften sich nur zwischen dem unmittelbarem Nähern des Angreifers – bei Angriff mit bloßen Händen bis auf wenige Meter – und bis dieser wieder von Ihnen abgelassen hat bzw. ablassen will, verteidigen.

DF: Gibt es denn nicht so etwas wie Verhältnismässigkeit der Mittel bei Notwehr?

MN: Doch, schon. Aber zunächst bleibt nach § 33 StGB auch auch derjenige straflos, der die Grenzen der Notwehr aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Waren dagegen Gefühle wie Wut und Kampfeslust maßgebend, ist dieser sogenannte „Notwehrexzess“ strafbar. Das Ausnutzen einer Notwehrlage zu anderen Zwecken, als der Verteidigung rechtlich geschützter Güter stellt keine Notwehr dar. So etwa, um es dem verhassten Nachbarn einfach einmal heimzuzahlen.

Nicht zuletzt muss der Angriff rechtswidrig erfolgen. Der Angreifer darf seinerseits keine Rechtfertigungsgründe haben. Das schließt insbesondere Notwehr gegen Notwehr aus. Denn die Notwehr rechtfertigt gerade ein an und für sich strafbares Verhalten, das infolgedessen straffrei wird.
Die Erforderlichkeit setzt der Verteidigungshandlung eine weitere Grenze. Ein Angegriffener muss zwar keine besondere Rücksicht auf den Angreifer nehmen. Die Abwehr muss im Einzelfall nur geeignet sein, den Angriff sofort zu beenden oder ihn wenigstens abzuschwächen, um dadurch die Gefahr endgültig abzuwenden. Entscheidend dafür ist die Sicht des Angegriffenen beim Angriff – nicht hingegen, was im Nachhinein besser gewesen wäre. Bei mehreren Verteidigungsmöglichkeiten muss der Verteidiger aber das mildeste, ebenso gut zur Abwehr geeignete Mittel wählen. Berechtigte Zweifel darüber gehen am Ende zulasten des Angreifers, der schließlich angefangen hat.

DF: Wenn ich im Park angegriffen werde: darf ich dann überhaupt zuschlagen? Wäre es nicht auch eine gute Wahl, einfach wegzulaufen, also sich in die Flucht zu retten?

MN: Eine Pflicht wegzulaufen, gibt es nicht. Denn Recht muss dem Unrecht nicht weichen. Auch welche Rechtsgüter miteinander in Konflikt geraten, ist nicht entscheidend – von einem krassen Ungleichgewicht einmal abgesehen. Der Kirschendieb im Baum, den der Eigentümer des Baumes bei frischer Tat erschießt, ist ein bekanntes Beispiel für ein Ungleichgewicht. Hier liegt keine Notwehr mehr vor, aber das leuchtet wohl jedem ein. Natürlich ist beim Einsatz lebensgefährlicher Waffen gegenüber unbewaffneten Angreifern Vorsicht angebracht. Obwohl sich niemand auf einen ungewissen Kampf einlassen muss, sollte erst mit der Waffe gedroht werden. Bei Schusswaffen soll man, wenn möglich, zunächst einen Warnschuss abgeben. In allen Fällen ist ein Notwehrwille erforderlich – also die bewusste Verteidigung gegen die erkannte Rechtsverletzung. Die ebenfalls mögliche Notwehr für einen angegriffenen Dritten, die sogenannte Nothilfe, hat zu unterbleiben, wenn dieser sie nicht will.

DF: Gibt es Ausnahmen oder Einschränkungen im Hinblick auf Notwehr? Wo oder gegen wen hat diese ihre Grenzen?

MN: Ja, etwa bei bagatellhaften Angriffen insbesondere durch Kinder oder verwirrte Personen. Früher gab es diese Einschränkung übrigens auch gegenüber Familienangehörigen und anderen nahestehenden Personen. Opfer häuslicher Gewalt müssen diese heute nicht mehr als andere Angriffe erdulden. Nicht zuletzt darf sich jemand, der die Notwehrlage selbst herbeigeführt hat, nur eingeschränkt verteidigen. Insbesondere wer einen Angriff bewusst herausgefordert hat, muss sich statt aktiv dann vorrangig passiv verteidigen und wenn möglich zurückweichen. Denn natürlich will man verhindern, dass jemand die Notwehr sozusagen provoziert.

DF: Es gab in den USA vor einiger Zeit einen Fall, in dem ein Hausbesitzer einen Einbrecher tötete. Es stellte sich heraus, dass er den Diebstahl geradezu provoziert oder inszeniert hatte. Er hatte die Garage offen stehen lassen, gut sichtbar eine teure Handtasche platziert und Kameras installiert. War das dann noch Notwehr?

MN: Wer eine Notwehrlage bewusst herbeiführt, muss damit rechnen, dass das Gericht sein Notwehrrecht in einem Strafverfahren später nur eingeschränkt anerkennt. Wer einen Einbrecher geradezu zum Diebstahl verleitet, um ihn dann unter Berufung auf Notwehr schwer zu verletzen oder gar zu töten, hat schlechte Karten. Unter diesen Umständen ist ein Provokateur zunächst zum Ausweichen verpflichtet. Gelingt das nicht oder ist das unmöglich, ist eine aktive Verteidigung zwar zulässig. Die Gegenwehr muss aber zurückhaltender ausfallen. Das gilt besonders in Hinblick auf den Schusswaffengebrauch. Nur wenn es keine Alternative dazu gab und der Angriff möglicherweise für einen tödlich ist, besteht eine Chance, dass ein Gericht in solch einer Situation noch Notwehr anerkennt.

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